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Fluglärm

FLUGHAFEN
Aufstand der Millionäre gegen den Fluglärm

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<p>Proben den Aufstand in den Villen: Konstantin Zoggolis, Andrea Müller-Wüst und Julia Mierke (von links).<br />

Proben den Aufstand in den Villen: Konstantin Zoggolis, Andrea Müller-Wüst und Julia Mierke (von links).
Foto: Bernd Fickert

Ob reich oder arm – Krach trifft alle: Auf dem Frankfurter Lerchesberg wächst die Wut. Über den Villen von Chefärzten, Bankiers und Notaren steuern im Minutentakt Flugzeuge die neue Nordwestlandebahn an.

Doktor Krstic sitzt an seinem Esstisch, massives Holz, sehr edel, der Doktor lehnt sich zurück im Lederstuhl, er trinkt Cappuccino. Vor den bodentiefen Fenstern liegt ein gepflegter Rasen, daneben steht eine Trauerweide, dahinter die halbfertige Villa von Ioannis Amanatidis. Natürlich habe er keine Kontakte zu Al-Kaida, sagt Krstic, 48, aber wenn er sie hätte: Es gebe oben das Zimmer mit den Dachfenstern. Er würde es vermieten. Da könnten die mit ihren Gewehren dann machen. Flugzeuge kämen ja genug.

„Wenn der Euro zusammenbricht, dann ist ja eh alles vorbei. Dann hänge ich mir einen Pflug ans Auto und reiße diese Landebahn auf“, sagt Milivoj Krstic. „Dann gibt es soziale Unruhen.“

Es kann also gut sein, dass sie hier oben beginnen, Nobelring, Lerchesberg, Frankfurts feinste Adresse – noch. Seit dem 21. Oktober fliegen über dem Lerchesberg im Minutentakt die Flugzeuge zur neuen Nordwestlandebahn. Seitdem sprechen sie hier oben weniger über die schönen Dinge des guten Lebens, über Porsche und Sterne-Küche. Seitdem geht es um Grundrechte, um Demokratie. Um den kommenden Aufstand.

„Was wir hier erleben, ist eine kalte Enteignung“

Auf dem Lerchesberg leben Frankfurts oberste Zehntausend, in den Villen am Briandring und Nobelring haben sich Chefärzte eingerichtet und erfolgreiche Geschäftsleute, Konsuln, Notare, Bankiers. Die CDU kann hier auf eine treue Wählerschaft zurückgreifen, vor allem aber auf Menschen, die einer Stadt viel Stabilität geben, weil sie Unternehmen leiten, die Arbeitsplätze schaffen. Wer hier wohnt, geht abends auch mal dorthin, wo man Oberbürgermeisterin Petra Roth trifft oder Innenminister Boris Rhein (CDU), man kennt sich aus dem Wirtschaftsclub, sofern man nicht gerade ausgetreten ist, wie Doktor Krstic.

2500 Menschen bei Fluglärm-Montags-Demo

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Auf Roth und Rhein ist er nicht mehr gut zu sprechen. Und schon gar nicht auf den ehemaligen Ministerpräsidenten Roland Koch. „Was wir hier erleben, ist eine kalte Enteignung“, sagt Krstic’ Frau Julia Mierke, 30, sie könnten ihre Häuser ja nicht mehr verkaufen, und Fraport nehme sie nicht, jedenfalls nicht zu dem Preis, den sie wert sind. Und drin zu wohnen sei unmöglich. „Es ist ja nicht nur der Lärm, es sind auch die Emissionen. Keiner spricht darüber, wie schädlich das ist, was da runterkommt“, sagt Mierke. Ihre Kinder lasse sie nicht mehr draußen spielen. Und nachts wachten sie auf: „Mama, mir ist laut.“

180 Meter über Normalnull

Von nebenan, zwei Villen weiter, kommt Konstantin Zoggolis vorbei, er ist Ingenieur. Die Flughöhe sei eine Verarschung, sagt er, weil von Normalnull ausgegangen werde, obwohl der Lerchesberg 180 Meter über Normalnull liege. Zoggolis, 55, erzürnen die Tricks, mit denen Fraport und Flugsicherung arbeiteten. So werde schon seit Wochen auch bei Rückenwind jenseits der Fünf-Knoten-Grenze gelandet, obwohl das gefährlich sei. Am 21. November hätten deshalb mehrere Flieger durchstarten müssen, weil die Piloten die Maschinen gar nicht runterbekommen hätten.

Die Flugsicherung aber sage, es habe einen Vogelschlag gegeben. „Da wird gelogen“, sagt Zoggolis. „Mal müssen wir dran glauben, mal die Flörsheimer. Die wollen uns gegeneinander ausspielen. Da ist dann auch die Sicherheit egal.“

Montags-Demonstration in Frankfurt (21.11.)

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Der Doktor und seine Frau, Zoggolis und Nachbarin Andrea Müller-Wüst haben mit Piloten gesprochen, die sie kennen, sie haben bei der Flugsicherung angerufen und bei Fraport, sie haben bei Rhein angefragt, bei Roth, bei Koch. Und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass das System, mit dem sie immer gut gelebt haben, gar nicht das ist, für das sie es gehalten haben. „Wir sind umgeben von Korruption“, sagt Mierke. „Wie kann es sein, dass bei der Flugsicherung auch Fraport-Leute sitzen? Dass Koch den Ausbau beschließt und dann Chef der Firma wird, die ihn umsetzt? Dass die Oberbürgermeisterin dieser Stadt dazu nichts zu sagen hat?“

Die Villenbesitzer bereiten Klagen vor

Krstic und Mierke haben schon ihre Grundsteuer zurückgebucht, jetzt bereiten sie Klagen vor, vernetzen sich mit den anderen Villenbesitzern, mit Offenbachern und Flörsheimern. „Es darf nicht passieren, dass sie uns gegeneinander aufbringen“, sagt Zoggolis. Das Planfeststellungsverfahren sei schon eine Farce gewesen, die Mediation eine Lüge. „Aber wir werden uns weiter wehren.“

Lesermeinungen zu neuer Landebahn und Fluglärm
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Mieses Verhalten gegenüber Bürgern

Mein 14 Monate altes Enkelkind wohnt in Oberrad und hat jetzt den Dauerlärm über sich. Die Messstationen in Oberrad melden Lärmpegel bis über 80 Dezibel. Den schönen Scheerwald-Spielplatz kann man nicht mehr benutzen. Was soll eigentlich aus den Kindern werden, die unter diesem Lärmteppich aufwachsen? Viele Kindergärten und Schulen liegen in diesen vom Fluglärm betroffenen Bereichen. Das Verhalten dieser Oberbürgermeisterin gegenüber den Bürgern des Frankfurter Südens kann ich nur noch als mies bezeichnen. Nur die Interessen der Wirtschaft, nicht die der Bürger werden vertreten. Die Bürger hätten die Freiheit wegzuziehen? Wie stellt Frau Roth sich das eigentlich vor?Hedda Topp, Frankfurt

Die neue Landebahn muss stillgelegt werden

Zu dem nun eingetretenen Lärmterror auch bei uns in Frankfurt kann es nur eine Forderung geben: Es muss politisch entschieden werden, dass diese Landebahn so bald wie möglich wieder stillgelegt wird. Wenn das nicht möglich ist, sollten die lärmgeplagten Menschen in Hessen ein Volksbegehren auf den Weg bringen, um dieses Ziel zu erreichen.
Dieter Hooge, Frankfurt

Die Tage sind völlig unerträglich geworden

Ein Lärmteppich hängt über Frankfurts südlichen Stadtteilen und das ist kein Lärm, an den man sich gewöhnen könnte. Auch bei geschlossenen Fenstern dröhnt es in den Wohnungen, Klassenzimmern. Nein, so krass hatte man sich die zusätzliche Belastung durch die neue Landebahn absolut nicht vorgestellt. Häufig höre ich die Frage, was die Diskussion um ein Nachtflugverbot überhaupt solle, wenn doch schon der Tag völlig unerträglich geworden sei. Nach dem ersten Schock beginnt man sich zu organisieren. Überall wird verbittert konstatiert, dass „die Politiker“ der regierenden Parteien sich nicht in den betroffenen Stadtteilen blicken lassen. Stuttgart 21 hört man überall und so steht zu vermuten, dass die gequälten Anwohner sich – sehr laut und sehr deutlich – in ihrer Stadt und auf „ihrem Flughafen“ bemerkbar machen werden. Michael Burkhardt, Frankfurt

Der Lärm durch Straße und Schiene ist stärker

Mich stört, dass das Lärmproblem vielfach mit zweierlei Elle gemessen wird. Die Flughafengegner fokussieren ihren Widerstand nur auf das Argument Fluglärm beziehungsweise Nachtflugverbot. Kein Wort über sonstige Lärmbelästigungen. Alle Untersuchungen belegen, dass der Lärm durch Straße und Schiene wesentlich stärker ist. Wir müssen mit dem Flugplatz leben. Bürger, die an Hauptstraßen oder Bahnstrecken leben, müssen auch mit dem dortigen Lärm leben. Soll ihretwegen nun ein allgemeines „Nachtfahrverbot“ ausgesprochen werden, also Stopp auf der Autobahn oder an der Bahn von 22 bis 6 Uhr? Absurd! Genau so wie die ganze Fluglärmdiskussion!
Eberhard Deparade, Frankfurt

Wir sind verzweifelt

Ein guter Teil des Frankfurter Südens, Oberrad, Sachsenhausen, Niederrad wird unerträglich verlärmt. Menschen können nicht mehr schlafen, beziehungsweise werden gleich um 5 Uhr geweckt, Tag für Tag, Wochenende für Wochenende. Über die Kinder möchte ich gar nicht reden, da kommen mir gleich die Tränen. Wir sind verzweifelt.Judith Sachs, Frankfurt

Es wird Zeit für eine Quittung à la Stuttgart 21

Die neue Landebahn und die Neuordnung des Luftraums nehmen den Frankfurter Süden als Geisel. Das Naherholungsgebiet Wald ist seit dem 21. Oktober vollkommen verseucht. Jetzt gibt es gar keinen Flecken mehr, wo man die Ruhe im Stadtwald genießen kann. Nicht genug, jetzt können wir noch nicht einmal mit unseren Kinder auf den Spielplatz. Es kann doch nicht sein, dass wir mit Ohrstöpseln tagsüber herumlaufen. Die etablierten Parteien in der Frankfurter Stadtregierung sind eine Farce. Es wird Zeit für eine Quittung à la Stuttgart 21.
Yven Hunt, Frankfurt

Brutale Hoffnung auf Abstumpfung

Ostwetterlage – ich verspreche ihnen, das wird sich bald wieder ändern!“ so Fraport-Chef Stefan Schulte zu den völlig entsetzten und neu betroffenen Bürgern im Westen des Rhein-Main-Gebietes. Er will sagen, wenn erst wieder „normaler“ Westwind vorherrscht, bekommen schon die den Lärm ab, die seit Jahrzehnten zugelärmt werden. Im Süden Offenbachs, in Neu Isenburg, nun auch in Offenbachs Innenstadt. Diese an Zynismus nicht zu überbietende Äußerung entspringt hoher Not oder der brutalen Hoffnung auf Abstumpfung der Menschen durch Wiederholung. Es sind aber nicht einfach nur Andere betroffen, es sind immer mehr betroffen. Die Steigerung beginnt gerade erst. Welches Potenzial noch im Ausbau liegt, hat das Mediationsverfahren 2001 bereits aufgezeigt. Sie wird mit Sicherheit kommen. Nach einer Schamfrist. Agnes Stockmann, Offenbach

Wem gehört die Luft über uns?

Dem der Boden gehört, der verantwortet ihn, er gestaltet ihn, pflegt ihn, macht ihn nutzbar. Wem aber gehört die Luft über uns? Uns allen doch bis jetzt und den Vögeln, der Sonne, dem Licht. Doch plötzlich ist unser Himmel besetzt, erobert von Lärm, diesem Drachen mit feurigem Rauch. Es hat uns beraubt, das Ungetier, es stiehlt uns die Ruhe, den Frieden, den Tag. Er nimmt uns die Freiheit im Kopf, weil die Gedanken gekettet sind an den Schmerz. Worte verschwinden, Musik ist verstummt. Unser Körper bleibt nicht unversehrt, unser Geist nicht länger selbst bestimmt. Selbst in der Ruhe kriecht in uns die Angst, denn der Drache schläft nicht, er tobt nur auf der anderen Seite des Himmels. Und morgen schon, ganz früh, erschreckt uns wieder sein Gebrüll. Steht am Ende Flucht und Vertreibung? Nein, nein, wir nicht, nein! Das Untier muss vertrieben sein!
Peter Hartwig, Gustavsburg

Doktor Krstic sagt, er sei kein Linker, nie gewesen, er habe noch nie in seinem Leben gegen irgendetwas demonstriert. Aber das ändere sich gerade, auch wenn sein Anti-Fraport-Aufkleber am Schild seiner Praxis in der Goethestraße ständig abgerissen werde. „Wir werden uns nicht gefallen lassen, dass der Profit eines einzelnen Unternehmens über das Wohl der Menschen gestellt wird.“ Julia Mierke sagt, die Gewaltbereitschaft steige. „Die Leute haben nichts mehr zu verlieren.“