Neue Studie zum BKA
Versorgungsanstalt für Ex-Nazis
Von Jan Friedmann
AP
SS-Größen in der Führungsetage, Kriegsverbrecher als Ermittler: Das Bundeskriminalamt war jahrzehntelang durchsetzt von Ex-Nazis, blieb deshalb viel zu lange auf dem rechten Auge blind. Eine neue Studie deckt auf, wie die braunen Seilschaften funktionierten.
Hamburg – Salzgitter, in der Nacht vom 19. auf den 20. April. Die Täter haben das Datum mit Bedacht gewählt: der Geburtstag Adolf Hitlers.
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Sie wollen einen Friedhof schänden und die dort begrabenen Opfer der Nazi-Diktatur verhöhnen. Die Unbekannten hinterlassen dazu eine lebensgroße Strohpuppe, die an ihren auf dem Rücken gefesselten Händen aufgehängt ist, wie bei einer Exekution. Die Puppe trägt ein Schild mit der Aufschrift „Deutschland erwache, Israel verrecke“.
Der Fall schlägt Wellen, der Zentralrat der Juden mahnt, die Politik ist besorgt. Das Bundeskriminalamt (BKA) übernimmt, drei Beamte der Sicherungsgruppe in Bonn-Meckenheim leiten fortan eine elfköpfige Sonderkommission. Ihr Ermittlungsansatz scheint vorgegeben durch einen Bericht, den die örtlichen Behörden bereits zwei Tage nach der Schändung dem niedersächsischen Innenministerium vorlegen: Aus der „klar erkennbaren antisemitischen Tendenz“ könne geschlossen werden, „dass die Täter in rechtsradikalen Kreisen zu suchen sind“.
Doch was machen die Elite-Kriminalisten? Sie recherchieren weiträumig, sehr weiträumig. Araber seien verdächtig, folgern sie, schließlich richte sich das Schild gegen Israel. Außerdem Balten, weil laut Ermittlernotizen „diese Volksgruppen stets eine starke Abneigung gegen das Judentum hatten“. Und wie immer im Verdacht: die „Ostzone“.
Also werden überprüft: 77 Araber, 144 Balten und 536 „Angehörige aus der Ostzone“ – alles ohne Erfolg, die Täter bleiben verschollen.
„Prozess des institutionalisierten Vergessens“
Die Episode mit den aktuellen Anklängen spielt im Jahr 1957. Sie ist aufgeführt in einer historischen Studie, die BKA-Präsident Jörg Ziercke heute gemeinsam mit dem Holocaust-Überlebenden Ralph Giordano auf der BKA-Herbsttagung in Wiesbaden vorstellt. Es geht um die Geschichte der Institution und um braune Traditionen bei Deutschlands Spitzenpolizisten.
Die Salzgitter-Ermittlungen leitete beispielsweise der Kriminalist Martin Vogel, der schon im Dritten Reich Karriere gemacht hatte. Er war im Zweiten Weltkrieg von der Berliner Kriminalpolizei zur Einsatzgruppe II abgeordnet, die hinter dem deutschen Heer mordend und brandschatzend nach Polen einrückte. Sein Kollege, ein ehemaliger SS-Hauptscharführer, gehörte dem Einsatzkommando 9 der Einsatzgruppe B an, das in Litauen Juden erschoss – häufig gemeinsam mit osteuropäischen Kollaborateuren.
Knapp drei Jahre lang hat ein unabhängiges Wissenschaftlerteam unter Leitung des Historikers Patrick Wagner von der Universität Halle alte Personal- und Ermittlungsakten des BKA analysiert, dazu Memoranden, Vermerke und Papiere in diversen Archiven.
Die Auftragsarbeit steht in einer Reihe von jüngst erschienenen Publikationen über die NS-Belastung von Ministerien und Behörden. Das Bundesverkehrsministerium etwa veröffentlichte 2007 einen schmalen Band über seine Vorgängerinstitution, ebenso das Verbraucherschutzministerium. Die vor über einem Jahr erschienene umstrittene Studie über das Auswärtige Amt sorgt immer noch für Diskussionen.
Einen ähnlichen Aufruhr wird die BKA-Studie kaum verursachen, weil sich die Autoren im Gegensatz zu ihren Kollegen mit allzu steilen Thesen zurückhalten und ihre Folgerungen gut belegen.
Doch erfreulich für den Auftraggeber ist das Ergebnis nicht. Denn die Historiker präsentieren keine Erfolgsgeschichte. Sicherlich seien die braunen Traditionen nach und nach verblasst, befinden die Wissenschaftler, doch ohne aktives Zutun von Belasteten. Statt eines Lernprozesses, so Historiker Wagner, habe man nur einen „Prozess des institutionalisierten Vergessens“ feststellen können.
Kriegsverbrechen waren kein Hinderungsgrund
Die als „Bundeskopieranstalt“ verspottetete Briefkastenbehörde war in ihren Anfängen ab 1951 vor allem eine Versorgungsanstalt für ehemalige Nationalsozialisten. Kohortenweise kamen dort schwer belastete Polizisten unter, die allermeisten von ihnen durften später unbehelligt und bestens dotiert in Pension gehen.
Im Jahr 1959 etwa rekrutierte sich das BKA-Führungspersonal zu zwei Dritteln aus ehemaligen SS-Mitgliedern, drei Viertel waren ehemalige NSDAP-Mitglieder. Im Jahr 1969 zählte man immer noch ein Viertel SS-Mitglieder – die Hälfte waren ehemalige Parteigenossen.
Eigentlich hatte Bundeskanzler Konrad Adenauer ausgeschlossen, dass Männer mit SS-Vergangenheit wieder Verwendung finden durften. Doch die Kriminalisten strickten unter Führung ihres mächtigen stellvertretenden und späteren Präsidenten Paul Dickopf, selbst ein SS-Mann, erfolgreich an einer Legende: Ihnen sei als Polizisten der SS-Dienstgrad quasi aufgedrängt worden.
Dabei musste man hausintern nicht einmal eigene Verbrechen verschweigen. Ein Kriminalpolizist erwähnte bereits im Bewerbungsgespräch, dass er von einem norwegischen Gericht wegen Verbrechen im Kriegseinsatz „zu lebenslänglicher Zwangsarbeit“ verurteilt worden war – er hatte unter anderem Gefangene gefoltert. Das BKA stellte ihn ein. Einige Personalentscheider wie der Verwaltungschef Eduard Michel waren selbst an den Orten der Nazi-Massenverbrechen gewesen, Michel etwa als Mitglied des Einsatzkommandos 5/II in Polen.
Es fehlte damals, so schreibt der Historiker Imanuel Baumann, „die aus heutiger Sicht selbstverständlich erscheinende Sensibilität dafür, wer auch aus dienstethischen Gründen für den Kriminalpolizeidienst der jungen Bundesrepublik ungeeignet und untragbar sei“.
Erst in den sechziger Jahren kam es zu vereinzelten Disziplinarverfahren und Versetzungen. Doch die Betroffenen fielen weich, auch auf Betreiben der Gewerkschaft der Polizei, deren Rechtsschutz-Service inkriminierte Ex-Nazi-Schergen gerne in Anspruch nahmen. Rudi Leichtweiß, ein SS-Mann der ersten Stunde, wurde beispielsweise ans bundeseigene Institut für angewandte Geodäsie in Frankfurt abgeordnet.
So sehr war das Amt mit sich und seiner Vergangenheit beschäftigt, dass es seine eigentliche Aufgabe als zentrale Informationsbehörde zunächst kaum wahrnahm. Erst Horst Herold, Präsident von 1971 bis 1981, prägte ein neues, liberaleres Klima und vervielfachte die Zahl der Mitarbeiter. Als Cheffahnder gegen die Rote Armee Fraktion geriet dann ausgerechnet der Reformer Herold unter den Verdacht, faschistische Methoden anzuwenden und Deutschland in einen Gestapo-Staat verwandeln zu wollen.
Auf dem rechten Auge blind
Es blieb nicht die einzige historische Ungerechtigkeit in der BKA-Geschichte. Unter den braunen Seilschaften hatten vor allem jene Gruppen zu leiden, die kontinuierlich im Visier der Kriminalisten standen: neben Kommunisten auch „Landfahrer“ – anfangs hießen sie noch „Zigeuner“ – so genannte „Gewohnheitsverbrecher“ und Ausländer.
Für sie schienen die Regeln der Rechtsstaatlichkeit manchmal nicht zu gelten, auch wenn offen rassistische und antidemokratische Äußerungen von BKA-Mitarbeitern in den Akten kaum zu finden sind. Die Ehemaligen hätten sich nur selbst geschadet mit schriftlichen Belegen. Doch man kann nur erahnen, wie es in einer Kollegenrunde beim Mittagessen zugegangen sein muss, in der ein Mann wie Josef Ochs das Wort führte. Der hohe BKA-Beamte schlug noch 1952 vor „Anstalten und Internierungslager für asoziale Ausländer mit ungeklärten Personalien zu schaffen“.
Trotz solchen Personals entwickelte sich, so BKA-Präsident Ziercke, das Bundeskriminalamt zu einer „demokratisch gefestigten Behörde“. Wer noch nationalsozialistisch dachte, unterstützte wenigstens nach außen hin die Demokratie und brachte die junge Republik nicht in Gefahr. Doch die Integration der NS-Täter hinterließ eine Hypothek, mit der das BKA bis heute zu kämpfen hat. „Nicht die Legalität“, schreibt Wagner, „sehr wohl aber die moralische Legitimität des polizeilichen Handelns wurde in solchen Konstellationen fragwürdig.“
Auf dem rechten Auge blind war das Bundeskriminalamt vor allem in seinen Anfangsjahren, als man über all den antikommunistischen Maßnahmen den blühenden Rechtsextremismus vergaß. Laut den Historikern spielten „Ermittlungen gegen Neu-Nazis oder NS-Täter nur eine untergeordnete Rolle“.
Die Friedhofsschänder von Salzgitter wurden erst nach vier Jahren gefasst. Es waren drei junge Rechtsextremisten aus der Region. Der Haupttäter hatte sogar einen militanten Geheimbund gegründet.